Interview: Expertenkarriere hat strategische Bedeutung

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Interview zum Zukunftsmodell Expertenkarriere Dr. Michael Gruenewald von Airbus Group Innovations (ULA-Nachrichten, August 2014)

In fast allen Unternehmen sind Laufbahnen im Linien- und Projektmanagement fest etabliert. Dagegen sind Möglichkeiten für eine ernsthaft in die Firmenhierarchie integrierte Expertenkarriere eher rar gesät. Deshalb hat sich der ULA-Arbeitskreis Führungsfragen des Themas angenommen. Mit dem Dean of Experts der Airbus Group Dr. Michael Gruenewald wurden mögliche Ansatzpunkte und Best-Practice-Beispiele diskutiert. Im Interview mit den ULA Nachrichten erläutert Gruenewald unter anderem, wieso eine gelebte Expertenlaufbahn klar definierte Verantwortlichkeiten braucht.

ULA Nachrichten: Wie viel Personalverantwortung haben Airbus-Experten inne?

Gruenewald: Das ist unterschiedlich, aber die Richtlinie ist maximal um die 20 Mitarbeiter. Das ist nicht wenig, aber im Vergleich zu Linienfunktionen doch deutlich geringer, denn selbst ein Teamleiter im Entwicklungsbereich hat bei uns durchaus 50 bis 60 Mitarbeiter zu führen, Abteilungsleiter natürlich noch mehr. Im technischen Bereich sind das recht große Einheiten. Hier gilt es, beim Einrichten von Expertenfunktionen Konkurrenzsituationen zu vermeiden.

ULA Nachrichten: Zum Beispiel?

Gruenewald: Wenn etwa der frühere Teamleiter zum Senior Expert befördert und damit an den Vice President der Executive- Ebene berichtet, aber nach wie vor eng mit dem Team zusammenarbeiten soll. Das Team wird personell vom neuen Teamleiter geführt, der hierarchisch deutlich unter der VP-Ebene angesiedelt ist. Der direkte Zugriff auf die Mitarbeiter ist für den neuen Senior Experten also nicht mehr gegeben, was in der täglichen Zusammenarbeit geregelt werden muss. Da kommt es auf die gegenseitige Ergänzung an. Der Experte ist verantwortlich für die technisch-fachliche Ausrichtung, der Teamleiter für das Personalmanagement. Gerade bei Budgetfragen muss man hier eng zusammenarbeiten.

ULA Nachrichten: Kommt es häufiger zu Kompetenzproblemen?

Gruenewald: Das kann vorkommen, lässt sich aber meist im gegenseitigen Informationsaustausch lösen.

ULA Nachrichten: Wie weit sind sie bei der Optimierung?

Gruenewald: Wir machen kontinuierlich Fortschritte. Da wir an beständigen Verbesserungen arbeiten, wurden einige Initiativen gestartet, um die Einbindung der Experten weiter zu verbessern. Hierfür haben wir Unterstützung von höchster Managementebene. Man darf allerdings bei der Diskussion nicht übersehen, dass die Anzahl der Experten sehr viel geringer ist als die der Linienmanager. Auf die gesamte Mitarbeiterzahl im Konzern gerechnet haben wir etwa ein Prozent Experten und zehn Prozent Linienmanager.

ULA Nachrichten: Wie sind da die Karrierechancen für junge Ingenieure?

Gruenewald: Bei uns im Konzern gibt es gleichwertig beide Karrierechancen – den Expertenweg und den Weg des Fachgebietsleiters. Die Laufbahnen bei Experten und Linie sind zwar gleichwertig, aber die Karrierechancen aufgrund der Anzahl der vorhandenen Positionen nicht.

ULA Nachrichten: Können Experten vielleicht ungezwungener arbeiten als ihre Linienkollegen?

Gruenewald: Der Linienmanager ist sicherlich stärker mit der Projektumsetzung und mit Kosten, Terminen und Budgets beschäftigt als der Experte. Aber auch die Experten arbeiten in den Projekten mit und haben oft die technische Leitung inne. Daher sollten Experten auch das technische Projektmanagement beherrschen. Wenn es dann um die Vermarktung geht, spielen Schutzrechte eine große Rolle. Da wird vom Experten erwartet, dass er diese frühzeitig sichert und sein Fachgebiet vorantreibt. Dafür braucht er natürlich auch entsprechende Freiheiten.

ULA Nachrichten: Welche Verantwortungsbereiche gibt es?

Gruenewald: Dazu gehören Technologie Entwicklung, Know-how-Management, Projektmanagement, Patente und das strategische Entwickeln des Arbeitsgebiets. In der Umsetzung ist dies von Unternehmensbereich zu Unternehmensbereich unterschiedlich. Es gibt zum Beispiel im Entwicklungs- und Produktbereich Experten, die Zertifizierungen durchführen und damit die volle technische Verantwortlichkeit für Funktionen der Produkte haben.

ULA Nachrichten: Was ist denn der konkrete Mehrwert?

Gruenewald: Gerade in der jetzigen Zeit muss der Konzern seine Experten hinsichtlich der Technologiestrategie einbeziehen. Wir haben im Bereich Verteidigung und Raumfahrt recht tiefgreifende Umstrukturierungen: Man hat dem viel stärkeren Wachstum des zivilen Geschäfts Rechnung getragen. Was die bereichsübergreifende technologische Analyse betrifft, sind ganz klar die Experten gefragt. Da sind wir momentan in einer internen Diskussion, wie dies effektiv geschehen kann. Auch in unseren Entwicklungsbereichen spielen Auslagerungsdiskussionen immer eine Rolle – was müssen wir selbst machen, was können wir von anderen bekommen? Experten müssen beurteilen können, was das zu entwickelnde Produkt erfordert. Hier sind die Entwicklungszyklen wichtig. Eine Technologie kann noch so gut sein: Wenn sie ein halbes Jahr zu spät kommt, dann wird sie nicht mehr in den nächsten Flieger integriert werden können. Das müssen Experten berücksichtigen können und hier ist auch der Mehrwert auf der Basis der Technologie- Expertise zu holen.

ULA Nachrichten: Haben Experten Imageprobleme im Unternehmen?

Gruenewald: Das Image unserer Experten ist positiv. Mittlerweile misst man der Expertenlaufbahn eine strategische Bedeutung bei und trennt die Fachgebiete besser. Mit Hilfe unseres CTOs wurde das positive Image weiterentwickelt und gefördert. Die Mitarbeiter haben gesehen, dass zusätzliche Stellen eingerichtet werden und dass sich etwas bewegt. Nun müssen wir dafür sorgen, dass Erfolgsgeschichten innerhalb des Konzerns bekannt werden und zum Vorbild genommen werden.

ULA Nachrichten: Wie sind denn die Laufbahnen eingeordnet?

Gruenewald: Es sind zwei gleichwertige Laufbahnen, auch was compensation and benefits angeht. Das Reporting ist in weiten Teilen ebenfalls das gleiche wie im Linienmanagement. Die Experten berichten jeweils an die höhere Hierarchieebene. Von zentraler Bedeutung ist die Zuordnung der Verantwortlichkeiten. In einem Technologiekonzern sind oft sowohl das Linienmanagement als auch die Projektmanagementebene sehr stark technologisch orientiert – vor allem im Bereich Forschung und Entwicklung. Da ist es nicht immer selbstverständlich, dass sie einen Experten involvieren. Durch das Einbeziehen eines Experten schöpfen wir aber das volle Potenzial unseres Wissens und unserer Fähigkeiten aus.

Dr. Michael Gruenewald von Airbus Group Innovations ist als Dean of Experts der gesamten Airbus Group für die Koordination und Umsetzung der Expertenlaufbahn beim deutsch-französischen Luf t- und Raumfahrtkonzern verantwortlich.