Brückenstrompreis: Beispiel an Frankreich nehmen

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Kommentar von Roland Angst, ULA-Präsident

Wer noch nicht begriffen hat, wie eminent politisch der Strom- und Energiemarkt ist, der sollte nach Frankreich schauen. Flapsig formuliert: Ordnungspolitik heißt, wenn‘s für die heimische Industrie „in Ordnung“ ist. Mag man mögen oder nicht: Je geopolitischer die Zeiten, desto weniger scheinen sie „ordnungspolitisch“ zu sein. Bedeutet das den Untergang des marktwirtschaftlichen Abendlands? Natürlich nicht. Aber ein fundamentaler Mentalitätswandel über das, was Zeitenwende auf den Gebieten von Industriepolitik bedeutet, ist nötig. Dies gilt insbesondere für die Grundstoffindustrie. Deren ernste Situation ist bis heute nicht im Bewusstsein der Bundespolitik angekommen. Man scheint nicht zu verstehen oder nicht verstehen zu wollen, dass nicht nur eine Ursache, sondern ein toxischer Cocktail von verschiedenen Gründen für die Malaise verantwortlich ist: dramatisch hohe Energiekosten, überbordende Regulierung, lange Genehmigungsverfahren und fehlende Fachkräfte. Dazu eine Energiepolitik, welche die Basis der zu Verfügung stehenden Energieerzeugung politisch gewollt verkleinert, statt sie breit aufzustellen. So kommt es nun zu sinkenden Umsätze und niedrigeren Erwartungen. Für die Chemieproduktion wird 2023 ein Minus von acht Prozent im Vergleich zum Vorjahr und ein Umsatzrückgang von 14 Prozent prognostiziert. Alle Indikatoren sanken. Insgesamt fällt Deutschland im Wettbewerb um Investitionen immer weiter zurück.

Um diesen Trend zu drehen, benötigt die Chemie- und Pharmabranche zunächst einen Bewusstseinswandel der Politik – und Taten. Es geht darum, zu verstehen, dass der Trend zur Deindustrialisierung kein Selbstläufer ist. Man kann ihn mit guter Industriepolitik aufhalten, die einen Brückenstrompreis, ein Belastungsmoratorium für die Wirtschaft und die Bekämpfung des Fachkräftemangels beinhaltet. Darüber hinaus ist ein Verständnis der Abhängigkeit der energieintensiven Industrien von den Energiekosten nötig. Kritiker, die den Wünschen nach einem Industriestrompreis eine Absage erteilen, verkennen die systemrelevante Bedeutung hoher Energiepreise für den Erfolg des Industriestandorts Deutschland insgesamt. Und zu diesem Erfolg trägt die chemisch-pharmazeutische Industrie maßgeblich bei. USA und Frankreich verstehen das. In Frankreich wird Kritik an der staatlich garantierten Unterstützung für niedrige Energiepreise als ein „Überschreiten der roten Linie“ betrachtet. Jeder Regierung, links wie rechts, ist die Bedeutung der Energiekosten für die Attraktivität des Standorts bewusst. Gleiches gilt für die USA. Es wird Zeit, dass auch die deutsche Bundesregierung den Blick auf die internationalen Rahmenbedingungen richtet, in denen sich der Wettbewerb für die deutsche Industrie entscheidet. Und daraus lernt.