Pro & Contra: EU-Lieferkettengesetz – Motor oder Bremsklotz?

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Wenn der Vorschlag der Europäischen Kommission für ein europäisches Lieferkettengesetz vom Europäischen Parlament und den EU-Mitgliedstaaten angenommen wird, kommen auch auf die Führungskräfte deutscher Unternehmen neue Pflichten zu. Die Vorschläge der Kommission gehen in vielen Punkten weiter als das bereits beschlossene deutsche Lieferkettengesetz, das ab Januar 2023 gilt. Die ULA Nachrichten haben hierzu zwei führende Köpfe um ihre Einschätzung zu den möglichen Folgen sowie den Chancen gebeten.

Anna Cavazzini (Bündnis 90/Die Grünen) ist Vorsitzende des Ausschusses für Binnenmarkt und Verbraucherschutz im Europäischen Parlament.

Die EU importiert jährlich Produkte im Wert von rund 50 Milliarden Euro, die in Verbindung mit Kinderarbeit stehen. Dies bedeutet, dass jede*r Europäer*in pro Jahr etwa 100 Euro für Produkte aus Kinderarbeit ausgibt. Damit muss Schluss sein. Um das zu erreichen, hat die EU-Kommission einen Gesetzesvorschlag für die Sorgfaltspflicht in der Wertschöpfungskette von Unternehmen gemacht. Er zielt neben einer regelmäßigen Bewertung der Wertschöpfungsketten, der Ermittlung potenzieller Risiken und der Abschwächung dieser auch auf die Integration von Nachhaltigkeit in Unternehmensführung und Geschäftsentscheidungen insgesamt ab. Indem die Richtlinie von Geschäftsführer*innen eine aktivere Rolle verlangt, wird sie dazu beitragen, eine Kultur der Verantwortung und Transparenz in Unternehmen zu schaffen. Die Richtlinie verbessert nicht nur die Lage der Menschenrechte in unseren Wertschöpfungsketten, sondern kommt auch den Unternehmen selbst zugute. So werden sie in der Lage sein, besser den Werten ihrer Kund*innen und Investor*innen zu entsprechen, die zunehmend Nachhaltigkeit und ethisches Wirtschaften fordern. Darüber hinaus wird das Gesetz dazu beitragen, die Wettbewerbsbedingungen für deutsche Unternehmen zu verbessern, da ein harmonisierter Rahmen auf dem EU-Binnenmarkt geschaffen wird. Indem Unternehmen Verantwortung für ihre Wertschöpfungsketten übernehmen, können sie nicht nur das Leben von Arbeitnehmer*innen im Globalen Süden verbessern, sondern auch die eigene Resilienz und Nachhaltigkeit: die Schlüssel, um die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts zu meistern.

Dr. Angelika Niebler ist Stellvertretende Vorsitzende der CSU, Präsidentin des Wirtschaftsbeirats der Union und Mitglied des Europäischen Parlaments.

Unternehmen nehmen heute schon ihre Verantwortung für Gesellschaft und Umwelt wahr. Zusätzlicher Druck auf Unternehmen, Nachhaltigkeit im Unternehmen zu praktizieren, ergeben sich bereits aus den Vorgaben zur Nachhaltigkeitsberichterstattung. Mit dem Kommissionsvorschlag über die Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Hinblick auf die Nachhaltigkeit droht nun eine Überregulierung. Denn dieser Vorschlag sieht vor, dass de facto jedes Unternehmen für seine gesamten Wertschöpfungsketten durch ein Kontrollsystem sicherstellen muss, dass Menschenrechte und Umweltstandards in der ganzen Wertschöpfungskette – vom Bezug der Materialien bis zur Verwendung jedes einzelnen Produkts – eingehalten und überprüft werden müssen. Der Entwurf sieht auch weitreichende zivilrechtliche Haftungsregeln und Verpflichtungen für Führungskräfte vor. Grüne, Linke und Sozialdemokraten wollen diesen Vorschlag weiter verschärfen. Die Kommission hat erst im März angekündigt, Berichtspflichten künftig um 25 Prozent zu reduzieren, um die Wettbewerbsfähigkeit unserer Industrie zu stärken. Der Kommissionsvorschlag wirkt daher wie aus der Zeit gefallen. Zweifel sind auch angebracht, ob Menschenrechte und Umweltstandards vor Ort durch diesen Vorschlag besser geschützt werden. Selbst der eigene kommissionsinterne Prüfungsausschuss bezweifelt dies. Es besteht die Gefahr, dass sich Unternehmen aus Entwicklungsländern zurückziehen. Wenn Unternehmen aus Ländern mit geringeren Standards diese Lücke füllen, wird niemandem geholfen – weder der Umwelt, noch den Menschen vor Ort.