Pro & Contra: Gamechanger Ukraine-Krieg – Längere Laufzeiten für Kohle und Kernkraft?

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Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine hat die Debatte um die Zukunft der Energieversorgung in Deutschland neu angeheizt. Dass der Umbau hin zu klimafreundlichen, erneuerbaren Energien langfristig mehr Unabhängigkeit verspricht, erscheint unstrittig. Kurz- und mittelfristig erhalten im energiepolitischen Zieldreieck die Fragen der Versorgungssicherheit und Wirtschaftlichkeit eine unerwartete Relevanz. Würden längere Laufzeiten für fossile Kraftwerke und Kernkraftwerke einen Beitrag dazu leisten? Hierzu haben die ULA Nachrichten zwei führende Köpfe aus der Politik um ihre Einschätzung gebeten

Dr. Heiko Knopf ist Stellvertretender Bundesvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen
Foto: Urban Zintel

Grüne und SPD schlagen vor, einen subventionierten Industriestrompreis für manche Branchen einzuführen. Die Ratio: Strom ist in Deutschland vorübergehend zu teuer, was die Wettbewerbsfähigkeit gefährdet. Bis die Energiewende ihn billig macht, braucht es eine Brücke. Wir Liberale lehnen diese Idee ab. Wieso? Zunächst ist die Prämisse falsch: Ein Industriestrompreis verlangsamt nämlich die Energiewende. Er bedeutet weniger Effizienz und Anreize für den Zubau preisdämpfender Erneuerbarer Energien in Eigenregie oder über Direktlieferverträge. Eine Brücke ist nur so stark wie das Fundament, auf dem sie steht. Hinzu kommt, dass die Kosten der Stromversorgung durch höhere Nachfrage und geringere Flexibilität der subventionierten Industrie für alle Verbraucher steigen. Auch ist ein solcher Preis inhärent unfair: Alle, die nicht in seinen Genuss kommen, zahlen die enormen Kosten über ihre Steuern und müssen unter Umständen sogar noch empfindliche Wettbewerbsnachteile fürchten. Die FDP schlägt daher vor, die Stromsteuer so weit wie möglich zu reduzieren sowie den Spitzenausgleich zu verlängern. Außerdem wollen wir mit dem „Eigenstrom-PPA“ ein spezielles Instrument schaffen, mit dem Industriebetriebe einen Direktliefervertrag mit einem Erneuerbaren-Anlagenbetreiber abschließen können. Der Strombezug wird dabei wie selbst erzeugter und verbrauchter Strom behandelt, sodass die gängigen Steuern, Abgaben und Umlagen entfallen. Dadurch wollen wir allen Unternehmen Zugang zu günstigem Grünstrom verschaffen – und so nicht zuletzt die Energiewende beschleunigen, statt sie auszubremsen. Ergänzend müssen wir den Wirtschaftsstandort Deutschland durch weniger Steuern und Bürokratie stärken. Unsere Vorschläge dazu liegen vor.

Julia Klöckner ist Wirtschaftspolitische Sprecherin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion
Foto: Torsten Silz

Der menschenverachtende Krieg Putins gegen die Ukraine markiert nicht nur einen Bruch mit dem Völkerrecht, sondern auch in der Energiepolitik. Die Unabhängigkeit von russischen Energielieferungen ist das Gebot der Stunde. Energiefragen sind auch Sicherheitsfragen, zudem geht es um Wohlstand und Wettbewerbsfähigkeit – Bezahlbarkeit sowieso, flankiert vom Klimaziel 2045. Dabei sind wir das einzige Industrieland der Welt, das gleichzeitig aus Kohle und Kernenergie aussteigt. Alles zusammengenommen keine Lappalie, kein Selbstläufer. Dies stellt uns vor enorme Herausforderungen. Pragmatismus und Sachlichkeit statt
langes Überlegen und Schubladendenken müssen in der Energiepolitik gelten. Die Bundesregierung muss endlich einen klaren Fahrplan vorlegen. Dazu gehört auch eine ergebnisoffene Prüfung über vorübergehend längere Laufzeiten der letztverbliebenen Kern- und Kohlekraftwerke. Im Übrigen: In vielen Ländern wird die Kernenergie auch als Klimaschutzmaßnahme gesehen.

Ich halte nichts davon, unseren grundsätzlichen Klimakonsens aufzukündigen, aber ich halte viel davon, Kriegs- und Krisenzeiten ernst zu nehmen und unsere Agenda darauf anzupassen. Den Krieg haben wir uns nicht ausgesucht, er ist nun Realität – genauso wie unsere Energieabhängigkeit von Russland harte Realität ist. Wir sind uns einig, das ändern zu wollen. Und das geht wohl kaum ohne vorübergehend längere Kraftwerkslaufzeiten.