Gastbeitrag: Wie KI den Führungsalltag verändert

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von Prof. Jürgen Weibler

Drehbuchautoren und Schauspielerinnen in Hollywood wenden sich gegen einen unregulierten Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) in ihren Berufen. Sie befürchten, in der Zukunft schlicht überflüssig zu werden oder doch zumindest geringere Einkommenschancen zu besitzen. Wie KI in diesem Feld eingreifen könnte, ist im wahrsten Sinne des Wortes sichtbar. Schwieriger erscheint dagegen, sich vorzustellen, wie Künstliche Intelligenz auf Führungskräfte Einfluss nehmen könnte.

Technologien, die für den Einsatz Künstlicher Intelligenz benötigt werden, entwickeln sich ebenso wie ihr Anwendungsprodukt rasant. Niemand kann die Geschwindigkeit dieser Entwicklung exakt voraussagen. Allgemein wird angenommen, dass die fortlaufend gefundenen Möglichkeiten unseren bis dahin jeweils erreichten Erfahrungsschatz zur Beurteilung neuester Entwicklungen überschreiten. Damit sind neben vielfältigen Chancen offensichtlich auch Risiken in Betracht zu ziehen.

Für die Personalführung gilt bislang weitläufig, dass deren Kern, der die unmittelbaren Einflussnahmen von Personen auf Personen betrifft, in Menschenhand bleiben wird, da das Zwischenmenschliche, mit all dem, was dazugehört, sich einem maschinellen Zugriff entzieht. Ob dies in dieser Absolutheit tatsächlich so bleiben wird, muss bereits jetzt als fraglich eingestuft werden.

Keineswegs fraglich ist hingegen, dass die im KI-Diskurs implizite Vorstellung, Menschen wirken stets positiv auf andere Menschen ein, (unbewusst) eine Idealisierung darstellt. Nicht zuletzt liegt das auch an einer mangelnden Bereitschaft von Führungskräften, vorhandenes Wissen zur (recht einfachen) Verbesserung einer Führungsbeziehung zu nutzen.

Gegenwart der KI im Führungsbereich

So ist es durchaus erforderlich, zu überlegen, welche Möglichkeiten eine KI bietet, selbst wenn eine Überprüfung solcher Wirkungen empirisch nur in Ansätzen erfolgen kann. Aber es schadet ja nicht, zu wissen, was bislang dazu vorliegt und in welche Richtung die Entwicklung geht. Die Führungskommunikation spricht von der Grundidee her den relationalen, also den beziehungsorientierten Teil der Führungsaktivität an, auch wenn wir wissen, dass sie vielfach nur dazu benutzt wird, aufgabenbezogene Inhalte zu vermitteln. Der offensichtlich aufgabenorientierte Anteil erhöht sich im virtuellen Raum nachweislich und verändert dort die Führung wesentlich.

Während die Digitalisierung der Kommunikation inzwischen eingeübte Routine mit all ihren Möglichkeiten und Grenzen ist, geht beispielsweise ein lernender Chatbot bereits weiter. Diesem können mitarbeiterseitig Befindlichkeiten anvertraut werden, woraus ein individueller und kollektiver Engagement-Index ermittelt werden kann, der Stimmungen der Unzufriedenheit und des Unglücklichseins identifiziert und für Leitungen sichtbar macht – beides recht sichere Marker für Kündigungen, sofern Alternativen vorhanden sind. Dieser Chatbot gibt Führungskräften auch gleich Interventionsempfehlungen.

Andere Anwendungen untersuchen die eigene E-Mail-Kommunikation nach genügend Empathie, bevor sie in die Welt gelassen wird – ein Service, der für die Dating-Industrie nicht neu ist. Weitergedacht könnten derartige Unterstützungen auch über den Einsatz von Gesichtserkennungen laufen, die beispielsweise die Müdigkeit der Teammitglieder während der (un)beliebten Meetings misst und eine Echtzeit-Rückmeldung – vermutlich gleich mit Vorschlägen versehen – gibt. Dies alles kann selbstredend konstruktiv oder destruktiv genutzt werden.

Die aufgabenbezogenen Aktivitäten der Führung könnten insofern weiter unterstützt werden, als eine Künstliche Intelligenz dem Führenden all die Informationen über ein Dashboard zur Verfügung stellt, auf dem nicht nur verankerte Meilensteine, sondern auch datengestützte Empfehlungen von vorher definierten und fortlaufend gemessenen Einschätzungen von Kriterien für die zum Beispiel koordinierte Zusammenarbeit im Team übermittelt werden. Auch geht das bereits für Aktivitäten zur Zielerreichung. Denken wir an einen einfachen Hinweis, dass ein verabredeter Projektbericht noch nicht vorliegt, nun aber sogleich die Folgen für dieses Versäumnis mitberichtet werden, oder, etwas komplizierter, daran, dass Teammitglieder durch Verwendung einer App äußern, dass sie ihre Arbeit momentan als stupide erleben oder dass ein Mitarbeitender einen Kurzurlaub beantragt hat, wodurch automatisiert informiert wird, dass die geforderte Rate an Kundenbesuchen in diesem Monat nicht mehr erreicht werden kann. Die Führende könnte dann immer noch selbst entscheiden, inwieweit sie auf diese Hinweise eintritt oder damit verbundene Empfehlungen übernimmt.

Schwerer tun sich technische Anwendungen noch bei der Unterstützung von veränderungsorientierten Aktivitäten der Führung. Diese werden aufgrund des kreativen Elements (inklusive Intuition, Induktion, Improvisation) als eine vergleichsweise feste Bastion spezifisch menschlicher Fähigkeiten gesehen. Für die Urteilsbildung in unsicheren, emotional sensiblen oder nicht quantifizierbaren Kontexten wäre dies derzeit ebenfalls anzuführen.

Zukunft der KI im Führungsbereich

Inwieweit die Künstliche Intelligenz aus rein technologischer Sicht betrachtet Führungskräfte nicht nur unterstützt, sondern selbst die Führung übernimmt, an das Team verteilt oder mit anderen gemeinsam ausübt, wird meiner Ansicht nach davon abhängig sein, ob menschliche Bedürfnisse, die durch Führung befriedigt werden müssen, auch durch KI hinreichend oder sogar besser als zuvor befriedigt werden können. Aber auch diese Substitution unterläge der Einschränkung, die für die Notwendigkeit fremdbestimmter Führungsanteile generell gilt: Je professioneller ein Team selbstständig agieren kann, je deutlicher über die Kultur Verhaltensanforderungen vermittelt werden, je offensichtlicher der Sinn des Tuns, die Motivation und die Bindung sind, umso weniger ist Führung an sich gefragt. Das würde selbstverständlich auch für eine Künstliche Intelligenz gelten. Aber auch dann bliebe, dass das Team von Einspielungen und Empfehlungen durch KI in seiner produktiven Nutzung von Autonomie profitieren könnte.

Was im Konkreten die Bedürfnisse der Geführten sind und welche Aktivitäten Führung folglich wahrzunehmen hat, ist nicht zuletzt bedingt durch zugrunde liegende Führungsvorstellungen. Wenn ich als zentrale Bedürfnisse geführtenseitig Autonomie, Kontrolle und Beziehung setze, werde ich also die Künstliche Intelligenz danach befragen, inwieweit sie diesen gerecht werden kann. Wenn ich als Aufgabe der Führung verstehe, transformational zu agieren, werde ich die Künstliche Intelligenz danach befragen, inwieweit sie inspirierend motivieren kann, auf die Bedürfnisse des Einzelnen einzugehen weiß sowie ihm Verbesserungen vorschlagen und Lernerfahrung ermöglichen kann. Als herausfordernd und bislang vollkommen offen wäre die Frage, inwieweit eine Künstliche Intelligenz als Vorbild (Verhalten) für eine andere Person dienen kann.

Am wahrscheinlichsten ist es momentan, dass sich zukünftig Bereiche herausschälen, in denen eine Führung durch eine Maschine vorteilhafter ist und Bereiche verbleiben, für die dies bis auf Weiteres als ausgeschlossen gilt. Die größte kognitive, emotionale und sinnliche Herausforderung würde wohl sein, wenn biologisches mit unbelebtem Material zielgerichtet zu verbinden wäre. Dabei mag offenbleiben, was der Bezugspunkt der Anreicherung ist: Der Mensch wie bei der Fiktion des Cyborgs durch technische Komponenten oder die Maschine durch die Verbindung mit biologischen Zellen wie bei einem dann „gereiften“ Humanoiden. Ungewohnt wäre aus heutiger Sicht natürlich beides.

Ob es überhaupt, falls machbar, erwünscht sein wird, gar ethisch verantwortbar, werden kommende gesellschaftliche Diskussionen zeigen. Möglicherweise wird es vorher oder begleitend eine politische Regulierung geben. Wer kann das jetzt genau wissen? Wichtig an dieser Stelle soll es allein sein, anzudeuten, wie Entwicklungsextreme am Ende eines langen Weges dann eben auch für die Führung aussehen könnten. Bis dorthin – wenn überhaupt diese Ferne zur Nähe wird – wird aber auch unser Bewusstsein über und zur sich beständig verändernden Welt ein anderes sein, sodass es nahezu unmöglich ist, unsere zukünftigen Bewertungen im Jetzt zu simulieren.

Dies ist eine stark gekürzte Fassung des Aufsatzes von Prof. Jürgen Weibler. Der Beitrag in voller Länge ist mit weiteren Literaturhinweisen auf der Plattform Leadership Insiders erschienen.