Standards der Unternehmensmitbestimmung schützen – ULA bei Expertenanhörung im Ausschuss für Arbeit und Soziales

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In einer von der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen anberaumten Expertenanhörung im Bundestagsausschuss für Arbeit und Soziales hat sich die ULA für einen wirkungsvollen Schutz von Standards der Unternehmensmitbestimmung ausgesprochen.

Sie teilt – überwiegend aber nicht ausnahmslos – die Sichtweise der Fraktion in ihrem Antrag (Bundestagsdrucksache 18/10253), dass hier angesichts gewachsener gesellschaftsrechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten (wie etwa die Wahl einer ausländischen Rechtsform) Handlungsbedarf besteht.

Hier die Stellungnahme der ULA im Wortlaut:

1. Vormerkung

Die ULA teilt die Zielsetzung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und eine Mehrzahl der in ihr enthaltenen Vorschläge. Zu den Vorschlägen im Einzelnen nimmt sie umseitig Stellung.

Die ULA nimmt seit ihrer Gründung im Jahr 1951 die Rolle als die politische Stimme der leitenden Angestellten wahr. Ein beherrschendes Thema ihrer politischen Arbeit ist seither die Sicherstellung der Verankerung von leitenden Angestellten in den Systemen der Mitbestimmung auf der betrieblichen Ebene und der des Unternehmens. Dies wird derzeit insbesondere durch das Sprecherausschussgesetz (für die betriebliche Ebene) sowie durch das Mitbestimmungsgesetz von 1976 (für die Unternehmensebene) sichergestellt.

Dee ULA bekennt sich ausdrücklich zum Erhalt der bestehenden Mitbestimmungssysteme. Insbesondere die Unternehmensmitbestimmung ist zu einem Markenzeichen der sozialen Marktwirtschaft in Deutschland geworden. Sie steht für eine Betonung der gesellschaftlichen Verantwortung von Unternehmen (Stakeholder-Orientierung).

Sie leistet einen wichtigen Beitrag zu einer langfristigen und nachhaltig ausgerichteten Unternehmenspolitik. Eine besondere Stärke der Unternehmensmitbestimmung ist die Pluralität in der Zusammensetzung des Aufsichtsrats. Sie stellt sicher, dass verschiedene Erfahrungshintergründe bei Entscheidungen über Grundsatzentscheidungen und bei langfristigen Strategieentscheidungen repräsentiert sind. Leitende Angestellte mit ihren besonders guten Kenntnissen von Strukturen und Abläufen im Unternehmen und durch ihre Schnittstellenfunktion zwischen Unternehmensleitung und nichtleitenden Arbeitnehmern leisten zu dieser Vielfalt einen wertvollen und eigenständigen Beitrag.

Während anfängliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Mitbestimmung schon seit geraumer Zeit ausgeräumt sind, gibt es – aus Sicht der ULA bedauerlicherweise – anhaltende Diskussionen über deren Vermeidbarkeit. Hinzu kommen europarechtliche Herausforderungen. Mit Blick auf das noch nicht abgeschlossene Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof geht die ULA von einer Europarechtskonformität der deutschen Mitbestimmung aus. Sie sieht die Freizügigkeit von Arbeitnehmern als nicht berührt an und sieht auch den Ausschluss von Mitarbeitern deutscher mitbestimmter Unternehmen im europäischen Ausland mit Blick auf das Territorialitätsprinzip als unvermeidlich und insoweit als nicht diskriminierend an.

Europäische Rechtsformen, insbesondere die Europäische Gesellschaft (SE), bieten die Möglichkeit, die Modalitäten der Arbeitnehmerbeteiligung an der Unternehmensaufsicht in einem Verhandlungsprozess neu zu tarieren. Bei Gründungen oder Umwandlungen unter mehrheitlich deutscher Beteiligung wirken bestandsschützende Regelungen einer starken Abschwächung der Mitbestimmung entgegen. Der Sitz des leitenden Angestellten ist von diesen Regelungen bedauerlicherweise aber nicht erfasst.

Hinzu kommen andere gesellschaftsrechtliche Gestaltungsmöglichkeiten, die in letzter Zeit vermehrt genutzt werden, um das aktuelle Mitbestimmungsniveau zu reduzieren oder Mitbestimmung ganz zu vermeiden. Diese Tendenzen geben aus Sicht der ULA Anlass zur Sorge.

Mehrere der Vorschläge im Antrag der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen liefern dafür die richtigen Antworten oder die Basis für mögliche Lösungen.

2    Zu den Inhalten des Antrags im Einzelnen

2.1    Absenkung des Schwellenwerts des Mitbestimmungsgesetzes 1976 von 2.000 auf 1.000 Arbeitnehmer

Eine Absenkung des Schwellenwerts für die Anwendung des Mitbestimmungsgesetzes ist aus Sicht der ULA nur im Rahmen eines breiten politischen Konsenses denkbar.

Die vorhandenen Abstufungen (Drittelbeteiligungsgesetz für kleinere Kapitalgesellschaften und Mitbestimmungsgesetz mit paritätischer Mitbestimmung erst ab 2.000 Mitarbeitern) tragen bis heute verbleibenden Vorbehalten gegen ein „Zuviel“ an Mitbestimmung insbesondere in mittelständisch geprägten Unternehmen Rechnung.

Ein politischer Vorstoß für eine (prinzipiell wünschenswerte) Stärkung der Unternehmensmitbestimmung wäre kontraproduktiv, wenn sie eine (derzeit nicht geführte) Grundsatzdebatte über das Für und Wider der Mitbestimmung auslösen würde und den stellenweise bereits vorhandenen Tendenzen zur Mitbestimmungsvermeidung zusätzlichen Schwung verleihen würde. Diese zu dämpfen ja das eigentlich Ziel des Antrags.
2.2    Zu den Vorschlägen unter Ziffer II

1. Stiftungen mit Geschäftsbetrieb werden in den Geltungsbereich der Unternehmensmitbestimmung einbezogen, wenn sie eine entsprechende Beschäftigtenzahl aufweisen.
2. Die Regelung zur Konzernzurechnung aus dem Mitbestimmungsgesetz von 1976 wird auch im Drittelbeteiligungsgesetz verankert.

Die ULA stimmt diesen Vorschlägen grundsätzlich zu, behält sich aber eine abschließende Beurteilung zu einem ausformulierten Gesetzesvorschlag vor.

3. Unternehmen mit ausländischen Rechtsformen oder Kombinationen zwischen nationalen und ausländischen Rechtsformen mit Verwaltungssitz in Deutschland werden in die Unternehmensmitbestimmung nach dem Drittelbeteiligungsgesetz und in das Mitbestimmungsgesetz von 1976 einbezogen.

4. Kombinationen aus Kapitalgesellschaften und Kommanditgesellschaften (Kapitalgesellschaft und Co. KG) werden lückenlos ebenfalls in die Unternehmensmitbestimmung nach dem Drittelbeteiligungs- und Mitbestimmungsgesetz von 1976 einbezogen, wenn der Komplementär keine natürliche Person, sondern eine Kapitalgesellschaft ist. Dazu sind die Beschäftigten der Kommanditgesellschaft der Kapitalgesellschaft zuzurechnen.

Sogenannte „Scheinauslandsgesellschaften“ oder Kombinationen aus Kapitalgesellschaften und Kommanditgesellschaften können aus Sicht der ULA grundsätzlich ein Indiz für eine Mitbestimmungs-Vermeidungsstrategie sein. Allerdings kann es auch andere, legitime oder sachlich nachvollziehbare Gründe für eine solche Rechtsform geben. Daher behält sich die ULA auch hier eine abschließende Beurteilung zu ausformulierten Gesetzesvorschlägen vor.

5. Es werden Sanktionen für den Fall eingeführt, dass das Drittelbeteiligungsgesetz oder das Mitbestimmungsgesetz von 1976 von Unternehmen nicht angewandt wird.

Aus Sicht der ULA stellen die bestehenden Vorschriften sicher, dass Mitbestimmungsstrukturen überall dort entstehen können, wo sie dem Gesetz nach existieren sollen. Beteiligungsrechte von Gewerkschaften, Unternehmensangehörigen und leitenden Angestellten erscheinen daher grundsätzlich als rechtlich durchsetzbar. Sanktionen wären insoweit nur geboten, wo die Nichtexistenz von Mitbestimmungsstrukturen auf eine aktive (rechtswidrige) Behinderung zurück zu führen ist.

6. Im SE-Beteiligungsgesetz wird klargestellt, dass die Zahl der Mitglieder im SE-Aufsichtsrat
sowie die Gewichtung zwischen der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite angepasst werden müssen, wenn die vorgegebenen Schwellenwerte in den jeweiligen deutschen Mitbestimmungsgesetzen überschritten werden.

Die ULA stimmt diesem Vorschlag zu. Sie teilt die Einschätzung, dass die derzeitige Möglichkeit zum „Einfrieren“ der Beteiligungsrechte in drittelparitätisch mitbestimmten Unternehmen mit knapp weniger als 2.000 Arbeitnehmern durch eine „präventive“ Umwandlung in eine SE ein Anreiz zur Mitbestimmungsvermeidung darstellen kann.

7. Die Bundesregierung setzt sich dafür ein, dass die Europäische Kommission eine Richtlinie zu allgemeinen Standards zur Unternehmensmitbestimmung für europäische Gesellschaften vorlegt.

Wie auch in anderen Rechtsgebieten sieht die ULA Mindeststandards als ein mit dem Subsidiaritätsprinzip grundsätzlich vereinbares Instrument europäischer Rechtsetzung an. Solche Mindeststandards, die Raum für eine Rücksichtnahme auf einzelstaatliche Besonderheiten lassen, sind auch für die Unternehmensmitbestimmung vorstellbar. Die Erfahrungen mit bereits vorhandenen mitbestimmungsrechtlichen Mindeststandards wie dem „allgemeinen Rahmen für die Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer“ sind aus Sicht der ULA jedenfalls grundsätzlich positiv.